Fallbeispiel 1

Körperverletzung § 223 StGB

Beschuldigter: Herr N. (72 Jahre)
Geschädigte: Moni (10 Jahre) Anna (10 Jahre)
Weitere Beteiligte: Frau K., Mutter von Moni Frau R., Mutter von Anna

Sachverhalt:
Die beiden befreundeten Mädchen Moni und Anna verbindet die Begeisterung für Pferde. Beide wohnen in einem kleinen ländlichen Ort. Sie sind dort häufig mit den Fahrrädern unterwegs und kommen dabei auch an Pferdekoppeln vorbei. Am Tattag versuchten die Mädchen, drei Pferde mit Gras anzulocken, um sie zu streicheln und zu füttern. Als das nicht klappte, gingen sie zu den Pferden auf die Koppel.
Herr N., der Besitzer der Pferde, kam zufällig mit seinen beiden (nicht angeleinten) Rottweiler-Hunden, an der Koppel vorbei und sah die beiden Mädchen auf der Koppel bei den Pferden. Sofort lief er um das angrenzende Haus herum und verscheuchte die Mädchen. Anna konnte noch schnell unter dem Elektrozaun durch schlüpfen und weg laufen. Herr N. schlug Moni mit der Hundeleine, sie stürzte, stand auf und lief ebenfalls weg. Herr N. schrie: „Schert euch weg und nehmt die Fahrräder mit“. Anna lief weinend zu Frau K. und berichtete, was passiert war. Diese fuhr mit dem Rad los und traf Moni auf halber Strecke. Frau K. fuhr zunächst mit Moni zurück zum Tatort - Herr N. wurde nicht mehr angetroffen. Nachdem ein Arzt die Verletzungen von Anna dokumentiert hatte, erstattete Frau K. Anzeige bei der Polizei und stellte einen Strafantrag. Sowohl Herr N., als auch die beiden Mädchen wurden von der Polizei vorgeladen und vernommen.

Durchführung des TOA
Herr N., Frau K. und Moni wurden gleichzeitig angeschrieben und über die Möglichkeit eines TOA informiert. Frau K. teilte telefonisch mit, dass sie sehr verärgert sei über die Sache an sich, aber auch darüber, dass sich Herr N. bislang nicht nach dem Befinden von Moni erkundigt, oder sich entschuldigt hat. Zunächst meinte sie, Herr N. müsse für sein Verhalten bestraft werden. Andererseits erschien ihr eine Aufarbeitung des Geschehens wichtig, damit die Mädchen ihre Ängste abbauen und mit der Sache abschließen können.
Wir verabredeten, dass ich Frau K. darüber informiere, ob sich Herr N. gemeldet hat und wie er sich zum Tatvorwurf stellt. Erst dann wollte sie eine verbindliche Entscheidung für oder gegen einen TOA treffen. Herr N. erschien zum Erstgespräch und berichtete, dass er immer wieder Kinder auf der Koppel antreffe. Die Pferde seien aufgrund ihres jungen Alters sehr temperamentvoll, ungestüm und völlig unberechenbar. Für die Kinder und sogar für ihn selbst, sei es gefährlich, zu den Pferden auf die Koppel zu gehen. Er als Besitzer sei sich der Verantwortung bewusst und ihm sei klar, dass er haftbar gemacht werde, wenn Kinder durch seine Pferde zu Schaden kommen sollten. Er sehe ein, dass sein Verhalten in dieser Situation nicht richtig war und das täte ihm leid. Er würde ein gemeinsames Gespräch mit den Kindern und den Eltern begrüßen, um ihnen seine Reaktion zu erklären und gemeinsam eine Lösung für die Zukunft zu entwickeln.
Ich informierte Frau K. – sie bat um Bedenkzeit. Am nächsten Tag rief sie an und sagte, sie habe auch mit Frau R. gesprochen. Beide Mädchen und Mütter hätten sich gegen sonst übliche Vorgespräche aber für ein gemeinsames, klärendes Gespräch entschieden, um die Angelegenheit zu einem guten Abschluss zu bringen. Auf ausdrücklichen Wunsch aller Beteiligten und auf Einladung von Herrn N. fand das TOA-Schlichtungsgespräch nicht auf neutralem Boden, sondern in einem Nebenraum der Reithalle statt.
Nachdem wir kurz den Reitern in der Reithalle zugeschaut hatten, gingen wir in den Nebenraum (Herr N. hatte Saft und Cola für die Mädchen und Kaffee für die Erwachsenen vorbereitet). Moni und Anna schilderten den Sachverhalt aus ihrer Sicht und verdeutlichten Herrn N. eindrucksvoll, wie sehr sie durch ihn und die beiden großen Hunde erschreckt und verängstigt waren. Die Mütter berichteten, dass die Kinder einige Tage gebraucht hatten, um den Schock zu verarbeiten – Anna habe sogar wieder bei den Eltern im Bett geschlafen. Herr N. drückte sein Bedauern über seine Überreaktion aus und zeigte Verständnis dafür, dass die Mädchen durch die Situation, sein Geschrei die beiden großen Hunde und den Schlag mit der Leine verängstigt waren. Er erklärte den Mädchen, dass er so wütend war, weil sie sich (wie schon andere Kinder) durch das Betreten der durch einen elektronischen Zaun gesicherten Koppel in große Gefahr begeben hatten.
Alle waren sich darin einig, dass die Kinder die Weide nicht hätten betreten dürfen, weil es zu gefährlich ist. Herr N. bot den Mädchen an, jederzeit die Pferde im Stall oder am Zaun der Koppel zu besuchen und zu streicheln. Zudem lud er die Mädchen ein, mit ihm zusammen zur Koppel zu fahren, um vom Zaun aus zu beobachten, wie er die Pferde füttert (nur möglich mit einer langen Peitsche, weil das Betreten der Koppel aufgrund des unkontrollierbaren Temperaments der jungen Pferde auch für ihn gefährlich ist). Alle Beteiligten äußerten sich am Ende zufrieden über den Verlauf und das Ergebnis des Gespräches. Zum Abschluss führte uns Herr N. durch den Stall, wo wir 30 Pferde streicheln konnten und Herr N. geduldig alle Fragen beantwortete. Die anfänglich zurückhaltenden und eingeschüchterten Mädchen entspannten sich zunehmend und wirkten sehr erleichtert.

Abschluss

Herr N. hat sich mit seinem Fehlverhalten auseinander gesetzt, die Verantwortung dafür übernommen und sich ernsthaft um einen Ausgleich bemüht. Nach einer erfolgreichen Aufarbeitung der Tat und der Tatfolgen im gemeinsamen Schlichtungsgespräch wurde mit Zustimmung aller Beteiligter im Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Strafverfahrens angeregt.
Die Staatsanwaltschaft hat diese Anregung aufgegriffen und das Verfahren gegen Herrn N. gemäß § 153 a StPO endgültig eingestellt.