Stellungnahme zur geplanten Auflösung der Teilanstalt Neumünster, der Jugendanstalt Schleswig und der Eingliederung dieses Jugendvollzugsbereichs in die Justizvollzugsanstalt Neumünster (15.12.2010)

Bislang wurden in Schleswig-Holstein Jugendstrafe und Untersuchungshaft bei jungen Menschen in der Jugendanstalt Schleswig und ihrer Teilanstalt in Neumünster vollstreckt. Mit Wirkung vom 1. Februar 2011 soll die Teilanstalt Neumünster aufgelöst und der Jugendvollzug in Neumünster in den Vollzugsbereich der Justizvollzugsanstalt Neumünster, d. h. in den Erwachsenenvollzug integriert werden: „Der Jugendvollzug in der Teilanstalt Neumünster, der Jugendanstalt Schleswig (E-Haus) wird ein Vollzugsbereich der Justizvollzugsanstalt Neumünster“ (Vermerk II 21 Be/4402-150 SH vom 23.11.2010). Die Begründung hierfür lautet: „Sämtliche Bildungs- und Qualifizierungsangebote auf der Neumünsteraner Liegenschaft unterstehen der Verwaltung der zentralen Ausbildungsanstalt JVA Neumünster. Alle Angebote werden von dort gesteuert und Lehrstellen vergeben. Damit konkurrieren die jugendlichen Gefangenen mit allen ausbildungsgeeigneten Gefangenen des Landes um freie Qualifikationsplätze. Ein eigenes originäres Zuweisungsrecht der Jugendanstalt besteht aufgrund der organisatorischen Trennung zwischen Jugendanstalt und Justizvollzugsanstalt nicht. Daher soll das Haus E im Rahmen einer Organisationszusammenführung Teil der zentralen Ausbildungsanstalt werden.“ (Vermerk 4402-150 SH vom 29.9.2010). Konkret soll eine bessere Nutzung der Ausbildungsmöglichkeiten dadurch erreicht werden, dass die ständige Vertretung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Neumünster die Vollzugsleitung für den Jugendvollzug übernimmt.

 

Das Anliegen einer besseren Nutzung der Ausbildungsmöglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt Neumünster ist zu unterstützen, der hierzu eingeschlagene Weg ist abzulehnen. Zunächst ist nicht einzusehen, warum es nicht möglich sein soll, mit administrativen Mitteln die bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten bei weiterer Trennung des Jugendstrafvollzuges vom Erwachsenenvollzug zu nutzen. Die bestehenden Plätze werden mit der Umorganisation nicht erweitert, es geht nur um eine bestmögliche Nutzung entsprechend dem Bedarf im Jugendstrafvollzug. Mit ministeriellen Vorgaben müsste das offensichtlich bestehende organisatorische Problem gelöst werden können, ohne die Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzuges aufzugeben.

Vor allem bedeutet die Aufgabe der Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzugs in Neumünster eine tendenzielle Schwächung dieses Vollzugs, auch wenn die Vorgaben des Schleswig-holsteinischen Jugendstrafvollzugsgesetzes „uneingeschränkt“ weiter gelten sollen. Ein effizienter Jugendstrafvollzug lebt von der Fachlichkeit sowie von der Motivation und dem Engagement seiner Mitarbeiter. Das BVerfG hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 31.5.2006 zur Notwendigkeit spezieller gesetzlicher Regelungen für den Jugendstrafvollzug ausgeführt: „Freiheitsstrafen wirken sich für Jugendliche in besonders einschneidender Weise aus. Das Zeitempfinden Jugendlicher ist anders als dasjenige Älterer. Typischerweise leiden sie stärker unter der Trennung von ihrem gewohnten sozialen Umfeld und unter erzwungenem Alleinsein. In ihrer Persönlichkeit sind Jugendliche weniger verfestigt als Erwachsene, ihre Entwicklungsmöglichkeiten sind offener. Aus alledem ergeben sich spezielle Bedürfnisse, besondere Chancen und Gefahren für die weitere Entwicklung und eine besondere Haftempfindlichkeit, vor allem auch eine spezifische Empfindlichkeit für mögliche schädliche Auswirkungen des Strafvollzugs.“ (NJW 2006, S. 2096). Weiter führt das BVerfG aus: „So hat er (sc. der Staat) durch gesetzliche Festlegung hinreichend konkretisierter Vorgaben Sorge dafür zu tragen, dass für allgemein als notwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und Maßnahmen die erforderliche Ausstattung mit den personellen und finanziellen Mitteln kontinuierlich gesichert ist.“ Es bedarf somit nicht nur spezieller Jugendstrafvollzugsgesetze, sondern auch einer speziellen praktischen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs. Hierfür muss in den Einrichtungen ein eigenständiges Profil gerade auch unter Beteiligung der Mitarbeiter entwickelt werden. Der Wohngruppenvollzug im Jugendstrafvollzug stellt andere Anforderungen als ein Wohngruppenvollzug im Erwachsenenvollzug. Mit der Auflösung der Eigenständigkeit wird die Entwicklung bzw. Fortentwicklung eines solchen eigenständigen Profils gerade auch im Wohngruppenvollzug tendenziell behindert, auch wenn sich zunächst wenig ändert. Auf Dauer besteht die Gefahr der Nivellierung der Vollzugsbereiche, abgesehen von der Gefährdung, dass personelle Engpässe im Erwachsenenvollzug „in besonderen Ausnahmen“ mit dem Mehrpersonal im Jugendvollzug beseitigt werden und damit der notwendige personelle Mehreinsatz im Jugendstrafvollzug sowie die Kontinuität in der personellen Betreuung in Zukunft nicht mehr gewährleistet sind. Das widerspricht tendenziell den Aussagen des BVerfG, wie sie oben zitiert wurden. Wenn die Umorganisation auch formal mit dem Schleswig-Holsteinischen Jugendstrafvollzugsgesetz vereinbar ist, dem Geiste nach wird sie den Anforderungen des BVerfG nicht gerecht. Die Umorganisation widerspricht auch Art. 10 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, der kraft Bundesgesetz Geltung hat: „Jugendliche Straffällige sind von Erwachsenen zu trennen und ihrem Alter und ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln.“

Zu der Aufhebung dieses Trennungsgebots durch einheitliche Vollzugsorganisationen schreibt der langjährige ehemalige Anstaltsleiter der JVA Wiesbaden, Gernot Kirchner: „Es ist häufig das Bemühen zentraler Verwaltungen, Verfahren und Regeln für die vollzugliche Organisation möglichst einheitlich für alle Vollzugsanstalten umzusetzen. Dies kann höchst problematisch sein, da der Jugendstrafvollzug unbestritten ein Aliud gegenüber dem Vollzug an Erwachsenen ist. So gilt es zum Beispiel darauf zu achten, dass nicht die Sicherheitsstandards, die für den Vollzug an Erwachsenen ihre Berechtigung haben mögen, auf den Jugendvollzug übertragen werden. Ein Sicherheitskonzept für den Jugendstrafvollzug muss andere Schwerpunkte setzen. Im Erwachsenenvollzug mag es in einzelnen Anstalten begründet sein, dass Bedienstete ihren Arbeitsplatz häufiger wechseln, um nicht in eine zu große Nähe zu bestimmten Gefangenen zu kommen. Für den Jugendstrafvollzug hat jedoch die Beziehungskontinuität Vorrang, zumal die durchschnittliche Verweildauer der Jugendstrafgefangenen ohnehin nur bei knapp einem Jahr liegt. Unter Umständen ergeben sich ungünstigere Beförderungsmöglichkeiten für Bedienstete des Jugendvollzugs, nämlich dann, wenn in Rahmenrichtlinien für Beförderungen im Allgemeinen Vollzugsdienst die Größe einer Abteilung zur Richtschnur genommen wird.“ (Siehe Kirchner in: Handbuch Jugendstrafvollzugsrecht, hrsg. von Ostendorf, 2009, Abschnitt XIII, Rn. 3). Dementsprechend heißt es in den von einer Fachkommission herausgegebenen Mindeststandards für den Jugendstrafvollzug: „Der Vollzug der Jugendstrafe erfolgt in eigenständigen Jugendstrafanstalten. Die Angliederung an Anstalten des Erwachsenenvollzugs und der Vollzug von Jugend- und Freiheitsstrafe in einer Anstalt sind auszuschließen.“ (ZJJ 2007, S. 95).

An Stelle die Eigenständigkeit der Teiljugendanstalt Neumünster aufzugeben, muss die Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzugs in der Gesamteinrichtung der Erwachsenenvollzugsanstalt gestärkt werden und hierbei gilt es insbesondere, den Wohngruppenvollzug zu intensivieren. So heißt es im Bericht der Expertenkommission Jugendstrafvollzug, die im Auftrag des Justizministeriums eingesetzt wurde: „Die Teiljugendanstalt Neumünster steht in jeder Hinsicht im Schatten der großen Erwachsenenvollzugsanstalt. Das Gelände der Anstalt ist eng und intensiv bebaut. Das Hafthaus des Jugendvollzugs ist für den Wohngruppenvollzug baulich derzeit völlig ungeeignet. Die berufliche Förderung einzelner Gefangener mit Erwachsenen in den Werkstätten der Anstalt ist ein Behelf, der die Gesamtsituation jedoch nicht legitimiert. Ein Umbau des Hafthauses könnte nur mit erheblichem Aufwand erfolgen, um angemessenen Wohngruppenvollzug einzurichten. Den Kommissionsmitgliedern wurde berichtet, dass die Gefangenen an Wochenendtagen 23 Stunden in ihren Zellen eingeschlossen bleiben und nur jeweils eine Freistunde haben. Die von der Anstalt hierfür angegebene Begründung zeigt, dass die Teiljugendanstalt, trotz deutlichem Engagement ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, personell völlig unzureichend besetzt ist, um Konzepte eines eingliederungstauglichen Erziehungsvollzuges zu entwickeln und umzusetzen.“ (Bericht der Expertenkommission Jugendstrafvollzug, hrsg. von Mett, Vorsitzender der Kommission, August 2007, S. 17). Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung besteht somit offensichtlich Handlungsbedarf, nicht hinsichtlich einer organisatorischen Veränderung, die die Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzugs und seine jugendspezifische Ausgestaltung eher vermindern als stärken.

Prof. Dr. Heribert Ostendorf